Abschied in Liebe – Gedanken und eine Geschichte

Wie soll man die Nachrichten in Rundfunk und Fernsehen ertragen? Pausenlos ist von Opfern die Rede. Wer soll die ganzen Toten bemitleiden? Schlimm. Kopfschütteln. Ungutes Gefühl. Flüchtlinge, Kriegsopfer, Terroropfer, Unglücke größeren Ausmaßes, Selbstmorde, Verkehrsunfälle, Krankheiten, Hungertod, Naturkatastrophen uvm. Wegdrücken. Erst mal einen Kaffee machen. Und der Termin später, ja da muss ich ja noch … 

Als ich in einem Gespräch mit einem Priester einmal erwähnte, dass mich die Situation einiger Obdachloser, die direkt an meiner täglichen Wegstrecke lagerten, doch stets sehr anrühre, fragte er mich, wie lange ich denn so angerührt wäre? Wow. Fiese Frage. Ja, da hatte er mich. Ich gab einem Bedürftigen mal Handschuhe im Winter, einigen andern zu Essen und wieder anderen immer mal etwas Geld. Aber wie lange rührte mich das Elend dieser Menschen wirklich an? Waren das nicht Almosen zur Gewissensberuhigung? Gerne verdränge ich nämlich das Elend, die Armut und den Tod, verbanne diese unangenehmen Themen schnellstmöglich, nachdem ich ihre unausweichliche Präsenz in meinen Augenwinkeln registrieren musste, aus meinem Leben. Sich dann auch noch mit dem eigenen Tod beschäftigen? Nein. Wer will das denn. Sich mit dem Tod auseinander zu setzen, das ist nichts für mich. Ich will Spaß. Doch er kommt, der Tod. Bei mir, bei dir, bei unseren Lieben.

In letzter Zeit erscheint es mir deutlicher, dass wir die Kunst des Sterbens verlernt haben. Das betrifft meinen Umgang mit mir selbst, als potenziell Sterbender, aber auch den Tod, den andere sterben müssen, und den ich zu bewältigen habe. 

Sterben findet meist nicht mehr unter den Menschen in vertrauter Umgebung statt, kaum noch in den Familien oder am Sterbebett, von Angehörigen begleitet. Wir sterben heute wohl meist einsam,  „fremdbegleitet“, hygienisch fern. Im Krankenhaus. Im Altersheim. Unter der Plane abgedeckt wo immer es passiert ist. Schnell ins dunkle Auto. Weg. Die Organisation, das Waschen, Anziehen usw. übernimmt ja glücklicherweise das Bestattungsinstitut. Praktisch heute.

Es gab Zeiten, da war das anders. Der Tod war fester Bestandteil des täglichen Lebens. Mitten unter den Menschen. In Familien. In den Häusern. Alte. Junge. Sterbende wurden begleitet. Berührung war wichtig (und ist es auch heute noch!). Gebete. Lieder. Seelsorge. Sakramente. Blumenduft. Zur Sterbestunde wurden die Uhren angehalten, als Zeichen, dass der Tote keine Zeit mehr kennt, und es wurden Fenster geöffnet. Dann wurden Kerzen entzündet und frische Blumen aufgestellt. Man behielt den Leichnam noch zum Abschied etwas länger im Sterbezimmer. Das buchstäblich letzte Hemd wurde genäht. Totenmessen wurden zelebriert und den Toten ein Andenken bewahrt.

Keine Frage, Trauerarbeit gibt es auch heute noch in verschiedenen und sehr hilfreichen Formen. Dennoch meine ich, dass der Tod an sich in unserem Bewusstsein „seinen Körper verloren“ hat. Und wenn er kommt, dann überrascht er uns wahnsinnig. Im Bewusstsein der Menschen gab es früher jedenfalls einen festen Platz für die tägliche Möglichkeit aus dem Leben gerissen zu werden. Da wurde auch täglich die Bitte um einen gnädigen Tod vor Gott gebracht. Schließlich hat uns der Herr selbst ermahnt wachsam zu sein und nicht nachlässig in Glaube und Gebet zu werden. Christus, der Herr wird eines Tages wieder kommen. Oder zuvor unser Tod:

Lk 12,40 Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

Es gibt Kulturen, die sprechen beim Gegenteil des Todes nicht von Leben, sondern von Geburt. Das ist ein interessanter Gedanke. Die Geburt bringt uns in diese Welt, diese Zeit, der Tod gebiert uns in die Ewigkeit. Zu Gott. Er ist nur ein Übergang mit Wehen. So wie wir für eine gute Geburt und ein gesundes Kind beten, so sollten wir selbstverständlich auch für einen guten Tod und das ewige Leben beten!

Im Ave Maria bzw. im Rosenkranz wenden wir uns mit einer wichtigen Bitte an Maria, unsere starke Fürsprecherin vor Gott:

Heilige Maria, Mutter Gottes. Bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Werden wir uns jeden Tag klarer darüber, dass der Tod Bestandteil unseres Lebens ist. Werden wir uns klarer darüber, welche Schätze wir hier um uns haben. Werden wir uns klarer darüber, dass die Liebe zu unseren Familien und zu unseren Nächsten das wichtigste Band zwischen uns ist. Am Ende zählt nicht die Zeit, die wir im Büro waren, vor dem Fernseher oder dem Internet. Am Ende zählt, wie viel Zeit wir mit Menschen wertvoll verbracht haben!

Eine kleine Geschichte zum Abschluss:

Nach dem Abendessen ging ich ins Wohnzimmer uns schaltete den Fernseher ein. Sie kam herein und küsste mich auf die Wange – wie immer, wie tausendmal zuvor – und sagte: „Schatz, ich weiß es ist schon ziemlich spät, aber ich kam heute nicht dazu einkaufen zu gehen. Ich fahre noch mal eben los zum Einkaufszentrum.“ Nun, ich schaute nicht auf, nickte nur mit dem Kopf und bat sie darum mir doch noch eben die Fernbedienung zu geben. Als sie mir die Fernbedienung brachte reichte ich ihr nur kurz meine Hand und dann verschwand sie auch schon.

Als es so von einer Minute auf die andere im Wohnzimmer ganz leblos wurde, hielt ich einen Augenblick inne und überlegte wie meine Welt wohl ohne SIE aussehen würde. Schnell ertastete ich verunsichert meinen Ehering – es waren nur Gedanken.

Ich muss wohl vor dem Fernseher eingenickt sein, denn ich hatte die Haustüre nicht gehört. Ich fand das irgendwie seltsam, ist mir doch vorher noch nie passiert. Aber ich schaute auf – und da stand sie, ganz ruhig neben meinem Sessel. Ich sagte: „Hallo Schatz, mir müssen wohl die Augen zugefallen sein beim Fernsehen.“ Sie lächelte und nickte. Ich sagte zu ihr, dass sie so, wie sie da neben meinem Sessel im Dämmerlicht stehe, gerade so aussähe, als wäre sie ein Engel. Einen fast endlos erscheinenden Augenblick erwiderte sie nichts. Dann streichelte sie behutsam ihren goldenen Ehering und ich dachte ich sähe eine Träne in ihrem Auge. Mit zarter Stimme sagte Sie zu mir: „Mein geliebter Schatz, ich möchte dass du weißt wie sehr ich dich liebe!“. Und als ich ihr antwortete, dass sich kein Mann so glücklich schätzen könne wie ich, musste ich an die vielen Jahre denken, die wir so unbeschwert zusammen verbracht hatten.

Auf einmal überkam mich ein seltsames Gefühl. Es füllte den ganzen Raum aus. Es war ein ungewohntes Gefühl, das ich nicht kannte. Keine unbeschwerte Fröhlichkeit, sondern Schwere, Dunkelheit. Und zum ersten mal in meinem Leben sah ich in ihren zarten Gesichtszügen eine ernste Traurigkeit. Ich streckte mich nach ihr aus, wollte sie berühren. Aber sie drehte sich weg und sagte mir noch einmal, dass unsere Liebe eine Liebe sei, die niemals erlöschen würde. Und dann dachte ich tausend Stimmen zu hören, helle Gesänge? Es dauerte einen kleinen Moment bis das Klingeln des Telefons zu mir durchdrang. Es war genau in diesem Augenblick – als das Telefon klingelte; da erblickte ich diesen herrlichen Schein, der ihr wunderbar glänzendes Haar umgab. Ich wendete mich benommen dem Telefonhörer zu und eine kalte Stimme erzählte mir, dass es auf der Schnellstraße einen schweren Autounfall gab – und plötzlich wusste ich, wenn ich mich jetzt umdrehte, würde sie nicht mehr da sein, denn es war die Art und Weise wie nur Engel einem ein letztes mal auf Wiedersehen sagen.

Verabschiede Dich stets mit liebenden Worten von den Menschen, die Dir am Herzen liegen. Lass die Sonne über Dir nicht in einem Streit untergehen, sondern versöhne Dich. Halte Dein Leben in Ordnung und sei täglich bereit vor Deinen Schöpfer zu treten.

Bildnachweis: Usplash.com von Azrul Aziz

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